Ein Mikro, ein Song: Gitarre aufnehmen mit PlugIn oder Mikro?

Von Jonas  |  1 Mikro, 1 Song 

Eine elektrische Gitarre kann heute auf mindestens zwei verschiedenen Wegen aufnehmen: Einmal klassisch per Verstärker und Mikrofon, einmal per Kabel direkt ins Audio-interface und dann mit einem virtuellen Verstärker – einem PlugIn!

Elektrische Gitarre aufnehmen – digital vs analog

Eigentlich geht es kaum einfacher: Kabel in Gitarre und Interface, Verstärker-PlugIn mit dem gewünschten Sound einstellen und schon kann die Aufnahme losgehen. Dagegen wirkt das aufwendige mikrofonieren eines Verstärkers geradezu antiquiert und unnötig zeitintensiv. Denn bis man auf letzterem Weg einen vernünftigen Sound gefunden hat kann schon etwas Zeit ins Land gehen. Warum also die Mühe machen, wenn es auch einfacher und schneller geht?

Gitarre aufnehmen mit dem 2i2 von Focusrite
Gitarre aufnehmen mit dem 2i2 von Focusrite

Virtuelle Verstärker und Latenz

Das Hauptargument aus Sicht des Gitarristen ist oftmals und zuallererst das indirektere Spielgefühl, welches der systembedingten Latenz – also Verzögerung bei der Klangerstellung geschuldet ist. Logisch, das Signal muss über die Gitarre in das Interface, wird dort digitalisiert, vom Rechner und PlugIn klanglich geformt, wieder von digital auf analog gewandelten erst dann an die Lautsprecher geschickt. Hier können schnell mal Latenzen von 10-20 ms auftreten. Das sind allerdings schon relevante Werte, die nicht nur von empfindlichen Gitarristen als sehr störend empfunden werden. Mit ein wenig Einstellarbeit und einem (hoffentlich) guten Rechner inkl. neuester Treiber lässt sich dieser Wert unter 10 ms drücken, was oft nur als „indirekt“ empfunden wird, nicht aber als störend.

Der Fender Twin Reverb als PlugIn
Der Fender Twin Reverb als PlugIn

Virtuelle Verstärker und Sound

Der Sound ist meistens das nächste Argument, aber hier scheiden sich dann endgültig die Geister. Während die Puristen jede digitale Klangerzeugung ablehnen, loben die Befürworter die große Soundvielfalt aus der Welt der PlugIns sowie den Zugang zu Verstärkermodellen, die man sich nie und nimmer in dieser Vielfalt ins Studio stellen könnte. Ich persönlich sehe das pragmatisch und denke, alles was ordentlich klingt und mir Zeit erspart, hat einen Platz in meinem Aufnahmeprozess. Und gerade bei Clanen, also unversehrten Sounds ist der Unterschied zwischen virtuellen und „echten“ Amps nicht ganz so dramatisch!

Echte Verstärker und Aufwand

Ja, das ist schon die Achillesferse des analogen Aufnahmeprozesses: Verstärker schleppen, aufstellen, hoffen dass er funktioniert und nicht zu stark rauscht, Mikroposition finden, aufnehmen. Das alles kann bei der nötigen Sorgfalt schon mal einen Nachmittag dauern. Und jeder weiß, dass ein guter Mix auch mit einer guten Aufnahme startet, also sollte man sich diese Zeit auch nehmen. Aber jedes Schlechte hat auch sein Gutes. Dadurch, dass man sich einfach mehr Zeit nehmen muss, ist der Gitarrist zum Start der Aufnahme mit Sicherheit schon entspannt, gut eingespielt und vorbereitet. Das kann man bei einer Aufnahme „mal eben schnell virtuell“ oftmals nicht behaupten.

Echter Fender Blackface Twin Reverb von 1964
Echter Fender Blackface Twin Reverb von 1964

Echte Verstärker und Sound

OK, bei der Vielfalt der modernen VST-PlugIns kann die eigene Verstärkersammlung (sofern vorhanden) in den seltensten Fällen mithalten. Dafür kennt man seinen eigenen Verstärker aber auch meist in- und auswendig – im Gegensatz zu einer Million PlugIn-Einstellungen. Zudem ist der Sound eines echten Verstärkers, der mit einem Mikro aufgenommen wird, in der Regel lebendiger, direkter und einfach besser. Punkt!

Wohin zeigt mein Mikro?

Vor dem Lautsprecher eines Verstärkers ist in der Regel eine Schutz-Bespannung, die es schwierig macht zu erkennen, auf welchen Teil des Speakers das Mikro zeigt. Mit einer taschenlampe kann man hier aber gut sehen, wo genau das Mikro auf den Speaker schaut. Einfach die Taschenlampe unterhalb des Mikros direkt an den Stoff halten und schon kann man dahinter erkennen, wo der Strahl der Taschenlampe und damit auch das Mikro „auf den Speaker hört“!

Mit einer Taschenlamoe erkennen, wohin das Mikros zeigt
Mit einer Taschenlamoe erkennen, wohin das Mikros beim Speaker zeigt

Nach der Aufnahme ist vor dem Mix

Sind alle Spuren wunschgemäß aufgenommen, gibt es auch vor dem Mix durchaus noch ein par Arbeiten, die man erledigen sollte. Dazu gehört speziell bei Aufnahmen mit Gitarren das „Reinigen“ der Spuren. Gemeint ist alle Passagen, in denen nicht gespielt wird, der Amp aber vor sich hin rauscht, einmal sauber zu schneiden. Das kann man von Hand machen, muss man aber nicht! Einfacher geht es sicherlich mit der Funktion „Stille suchen“, die in nahezu jeder DAW zu finden ist. Über die Anwendung in Studio One habe ich hier schon mal ausführlich geschrieben, daher spare ich mir das an dieser Stelle!

Quantisierung für den Groove

Des Weiteren könnte man bei groovigen Sachen auch Quantisieren, damit de Gitarre – sollte sie nicht ganz so sauber eingespielt sein – ein bisschen besser mit dem Song harmoniert und groovt. Zur Audio-Quantisierung habe ich hier schon mal geschrieben, daher auch an dieser Stelle „nur“ der Verweis auf diesen Artike nebst Video!

Arrangement vor Mix

Ist der Song in sich schon vom Aufbau und der Song-Dynamik stimmig, mischt es sich gleich viel leichter. Daher entscheide ich im letzten Schritt vorm Mix immer auch noch, wann welche Parts spielen und wann nicht. Denn nicht alles, was wir uns ausdenken und einspielen fördert den Song zu jeder Zeit. Ist ja klar, wenn alle Instrumente von vorne bis hinten durchgängig spielen, kann das Arrangement keine dDynamik oder Spannung aufbauen – egal wie gut der Song ist. Daher gilt hier mein altes Motto „Kim your Darlings“ und ich dünne die eingespielten Parts geschickt so aus, dass der Song mit seinen einzelnen Elementen immer irgendwie in Bewegung ist. Im Video erkennst Du wahrscheinlich am besten, was ich meine!

 

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